August 1994: Über Ilvesheim nach Ghana

 

Nach dem Kreuzbandriss beim VfL Neckarau ging fußballerisch mehrere Jahre lang nichts. ich beendete das Studium und dank einer erfolgreicher Operation ging es 1993 in bescheidenem Umfang bei der SpVgg Ilvesheim wieder los.

 

Für die Mannheimer Bezirksliga reichte die eingeschränkte Belastbarkeit noch locker aus, die Kickerei war letztendlich Vorwand für eine große Dauerparty. Höhepunkt war die Einladung eines Mitspielers, den afrikanischen Teil seiner Familie in Ghana zu besuchen.

 

Dort lernten wir auf einer abenteuerlichen Bootsfahrt über den Volta-Stausee die Einheimischen Kwamena und Daniel kennen. Und die wiederum starteten im Januar `95 zu einem Westafrika-Trip. Ich war natürlich dabei.

 

 

 

Samstag, 07.01.1995: Beim Taylor

 

Zeitungslektüre in Accra, der Hauptstadt von Ghana. Im Daily Graphic steht: „Anthony Yeboahs Wechsel von Eintracht Frankfurt zu Leeds United für 5,8 Millionen US-Dollar Ablösesumme ist perfekt.“ Das Gehalt soll das gleiche wie in Frankfurt – angeblich 1,6 Millionen US-Dollar jährlich – sein.

 

Die Familien von Yeboah und Sammy Kuffour, so meint Paa Kofi, sollen in Kumasi leben, wo Yeboah ein großes Haus habe.

 

Yeboah äußert sich im Daily Graphic überrascht über einen Artikel in Deutschland, laut dem er nie mehr im Nationalteam, also bei den Black Stars, spielen werde. Yeboah versichert, das nie gesagt zu haben. Er hoffe, wieder eingeladen zu werden.

 

Accra, eine Straße parallel zur Kwame-Avenue. In der Nähe der Disco Piccadilly, in einem Hinterhof. Ein kleines Zimmer mit Bett, Schrank und einer Nähmaschine der Marke Singer, ohne Stromanschluss. Kwamena holt 18 Trikots und Hosen sowie zwei Torwarttrikots und -hosen für die Firmen-Mannschaft ab. Das Team der Möbelfabrik seiner Mutter also.

 

Alles von Hand genährt vom Taylor, der dieses Arbeitszimmer auch bewohnt. Kosten: Hundert US-Dollar. Fünfzig Meter weiter, Richtung Meer: Downtown-Sports, ein großzügiger Shop in Anthony Yeboahs Haus, der von dessen Bruder geführt wird.

 

 

 

Sonntag, 08.01.1995: Sieg der Starlets

 

Besuch des Starlets-Länderspiels in Accra, einem U17-Duell von Ghana gegen Sierra Leone. Das Stadion ist gerammelt voll, bei Eintrittspreisen von 500 Cedis für einen Stehplatz und bis zu 2000 für den überdachten Sitzplatz auf der Haupttribüne. Die Überdachung ist wichtig, wegen der Sonne.

 

Das Qualifikationsspiel wird live im GBC übertragen. Im Hinspiel in Sierra Leone gab es eine 0:1-Niederlage. Diesmal landen die Starlets einen verdienten 2:0-Erfolg, der schon zur Pause feststeht. Überragender Spieler auf dem Platz: Die Nummer sechs der Gäste im zentralen defensiven Mittelfeld. Den Namen kennt niemand.

 

Auf der Heimfahrt suchen wir Yeboahs Haus in Accra. Wir glaubten, es im East Cantonment in der Nähe des NAFTI gefunden zu haben. Eine protzige weiße Villa, die im Viertel nicht übermäßig bekannt zu sein scheint.

 

 

 

Montag, 09.01.1995: Leben im Abrisshaus

 

Kwamena philosophiert über Schulbildung und den Wachmann am Tor des Anwesens seiner Mutter: „Arme Analphabeten. Sie sind froh, solche Jobs zu bekommen.“ Der Wachmann lebt im Freien, unter dem Dach eines Rohbaus in der Nähe des Eingangstores.

 

Daniel erhält 45.000 Cedis monatlich für die Arbeit in der Fabrik von Kwamenas Mutter: „Das reicht gerade für die Transportkosten zur Arbeit und fürs Essen. Aber sparen kann ich nichts.“ Er wohnt mit seiner Schwester kostenlos in einem leerstehenden Haus in Accra, das bald abgerissen werden soll.

 

Daniel hat zusammen mit Kwamena Abitur gemacht. Ich finanziere ihm in den folgenden Jahren für gut hundert Mark pro Semester ein Fernstudium an einer Universität in Wales. Die Bücher, die Daniel nach den Semestern jeweils weiterverkauft, tragen zum Lebensunterhalt bei. Nach dem Bachelor zum Accountant studiert er in London weiter, landet in den USA und hat dort jetzt eine Familie mit drei Kindern.

 

Schlagzeile im Sports-Star: „Tony Yeboah for Black Stars.“

 

Der Fahrer des Taxis, mit dem wir später unterwegs sind, meint zu den vielen Zuschauern beim U17-Spiel der Starlets am Tag zuvor: „Die Leute lieben die Jungs. Die geben immer alles. Anders als die Black Stars!“

 

 

 

Montag, 09.01.1995: 200 Mark für ein Gespräch

 

Wir fahren zum Downtown-Sports in Accra. Um halb vier nachmittags sind keine Kunden, lediglich zwei gelangweilte Verkäuferinnen Mitte zwanzig im Laden. Anthony Yeboahs Bruder, der das Sportgeschäft betreibt, kommt auf Nachfrage aus dem Hinterzimmer.

 

„Ich habe selbst nie Fußball gespielt, ich bin nur Fan“, gibt er zum Besten. Und: „Anthony ist heute in Frankfurt. Heute fällt die Entscheidung, ob der Wechsel zu Leeds United klappt. Er spielt vielleicht am 25. Januar für die Black Stars.“

 

Weitere Informationen gebe er gerne anlässlich eines Besuches bei ihm zu Hause. Für 200 Mark, wie auch die nette Dame im Laden bei der Verabschiedung nochmal betont.

 

200 Mark sind rund 130.000 Cedis wert. Der Monatsverdient eines Arbeiters beträgt etwa 50.000 Cedis. Sicherlich ist der Preis verhandelbar. Aber ich habe keine Lust.

 

Simon ist auskunftsfreudiger. Der 19-jährige verkauft vormittags bei Kinbu Gardens Zeitungen und begleitet mich zum Downtown-Sports. „Tony Yeboah kommt vom Cornerstone FC aus Kumasi“ klärt er mich auf, „dann wechselte er zum Okwawu United F.C. aus Nkawkaw in der Eastern Region und von dort zum 1. FC Saarbrücken.“ Trainer in Saarbrücken ist damals Klaus Schlappner.

 

Mehr, versichert Simon, wisse sein Bruder Godwin. Der 32-jährige sei Fußball-Experte. Ich solle ihn doch nach Hause - New Town im Norden Accras - begleiten.

 

 

 

 

Montag, 09.01.1995: Die Chop Bar in New Town

 

Wir nehmen ein Taxi nach New Town, die Armensiedlung der Einwanderer aus Mali, Nigeria und Togo. Und derjenigen, die aus den ländlichen Regionen Ghanas kommen. Eine Hütte aus Brettern mit Wellblechdach, aber ohne Strom und Wasser, stellt mir Simon als „unser Haus“ vor. Er muss nur noch seinen Bruder suchen, der gerade unterwegs ist.

 

In der Zwischenzeit bekomme ich von einem Nachbarn einen Lederarmreif geschenkt. „Damit Du mich nicht vergisst“, erklärt er. Ich gebe ihm dafür meine Adresse und einen Kuli, damit er mir schreiben kann. Adressen aus Europa sind begehrt. Dass irgendwann mal Besuch vor der Tür steht, ist unwahrscheinlich.

 

Simons Bruder Godwin scheint sich auszukennen im ghanaischen Fußball. Wir gehen zu dritt zu einer Chop Bar, wo Simon und ich Club trinken. Godwin bevorzugt Malta.

 

Bevor das Gespräch so richtig losgeht, wird noch ein Fotograf bestellt. Er soll das Treffen von Simon und Godwin mit dem Deutschen für die Ewigkeit festhalten. Danach klärt mich Godwin darüber auf, was so alles schief gelaufen ist bei den Black Stars in den vergangene Jahren.

 

 

 

Montag, 09.01.1995:

 

Im Folgenden Godwins Ausführungen zur Lage des ghanaischen Fußballs:

 

„Beim Afrika-Cup im Februar gab es Streit zwischen Abedi Pele und Anthony Yeboah. Odartey Lamptey erhielt auf Betreiben Peles das Trikot mit der Nummer 8, obwohl nach dem Willen Yeboahs dessen Günstling Prince Poley diese Nummer tragen sollte.“

 

Ich wäre wohl auch für Poley gewesen, wenn ich damals schon gewusst hätte, dass einer seiner vielen Vornamen Bismarck ist. Aber weiter Godwin:

 

„Ein Jahr zuvor spielte Ghana in Bochum gegen Deutschland. Yeboah war Kapitän, weil Pele zu spät eintraf. Pele, sonst Mannschaftsführer, war sauer.“

 

Ich erinnere mich gut an die Partie, das erste Aufeinandertreffen der beiden Nationalmannschaften. Zusammen mit Kofi, dem Ilvesheimer Mannschaftskollegen, dessen Vater aus Ghana stammt, pilgerte ich zum Ruhrstadion.

 

Zur Halbzeit führte Ghana 1:0. Kofi war selig: „Egal, wie es ausgeht. Ghana hat das erste Tor geschossen!“ Deutschland gewann 6:1, der Tag endete in der nächsten Kneipe bei viel Bier.

 

Godwin fährt fort:

 

„Am 12. Juli vergangenen Jahres bestellte ein Parlamentsmitglied Yeboah und Pele ein, um die Streitigkeiten beizulegen. Beide versicherten, wieder zusammen spielen zu wollen. Aber bei den Länderspielen fordern beide jeweils drei ihnen genehme Mitspieler. Die restlichen drei Positionen darf der Nationaltrainer nach seinem Willen besetzen.“

 

Klingt ziemlich abgedreht. Aber auch in Deutschland soll ein Kölscher Klüngel dafür gesorgt haben, dass Tony Schumacher bei der WM 1986 in Mexiko die Nummer eins im Tor war. Es folgte die Suppenkasper-Affäre durch Uli Stein.

 

Godwin ist noch nicht zu Ende:

 

„Pele ist in Ghana beliebter, weil er den Nachwuchs großzügig unterstützt. Yeboah dagegen hat Ghana nicht mehr geholfen, seit er in Deutschland ist. Er ist ein Money-Man und muss aufpassen, dass er nicht mit Steinen beworfen wird, wenn er womöglich beim nächsten Länderspiel in Accra eintrifft.“

 

Wohl eine stark übertriebene Ankündigung. Aber afrikanische Nationalspieler haben es generell schwer in den 1990er Jahren. Länderspieltermine der FIFA, an denen die großen Ligen pausieren, gibt es noch nicht. So ist der Spagat zwischen den Wünschen der europäischen Klubs, die die Akteure üppig entlohnen, und der Heimat, die die Stars bei jedem Länderspiel trotz Reisestrapazen in Topform sehen wollen, für viele zu groß.

 

 

Fortsetzung folgt